Die Bargfelder Gründerzeit
Can Özren
Das Dorf Bargfeld wurde im Jahre 1195 zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Diese Urkunde ist im Original nicht mehr erhalten, wohl aber der Wortlaut in einer Urkunde aus dem Jahre 1238, die die Anordnungen des Jahres 1195 zum Inhalt hatte und den Text der Urkunde genau zitierte.
Der Urkundentext lautet in der deutschen Übersetzung:
"Ich, Adolf, von Gottes Gnaden Graf von Wagrien, Stormarn und Holstein, bekenne in der gegenwärtigen Schrift, dass ich, weil sich beim ersten Gruendungsakt der Kapelle S. Nicolai in der [Hamburger] Neustadt ein Rechtsstreit ueber deren Gerechtsame zwischen den Hamburger Domherren und mir erhoben hat, alle Rechte, die ich darin hatte und zu haben schien, mit Zustimmung meines Herren, des Erzbischofs Hartwig, auf die [Domkirche] S. Marie uebertragen habe zu ewigem Niessnutz der Domherren, zu meiner und der meinen [Seelen] Heil. Darueberhinaus bekenne ich, dass ich der [Domkirche] S. Marie in Hamburg 6 grosse Mass Roggen, die man gewöhnlich Weichscheffel <wigskepele> nennt, aus der Mühle derselben Stadt, drei zum Bau der Stiftsgebäude und drei zu den Präbenden der Domherren zugewiesen habe, die jeweils am Fest S. Michaelis auf ewig zu lösen sind, als Ersatz für den Schaden, den ich der Kirche durch den Bau dieser Mühle zugefügt habe. Indem ich hinzufüge, daß, wenn immer Boten der Domherren zu dieser Mühle mahlen kämen, sie zuerst und ohne Verzug bedient werden sollen. Auch habe ich der genannten Kirche aus meinem Erbe zwei Dörfer, nämlich Arnesfelde und Berchfelde mit ihren Zehnten, übertragen, damit aus deren Ertrag 2 Domherren im Chor dienen, bis dass ich mit Hinzufügung weiterer Güter 2 vollständige Präbenden schaffe."
Adolph III. von Schauenburg, Graf von Wagrien, Stormarn und Holstein wurde um die Mitte des 12. Jahrhunderts geboren. 1164 trat er wohl als Minderjähriger die Nachfolge seines Vaters an. Im Jahre 1203 verzichtete er in dänischer Gefangenschaft auf seine Herrschaft und zog sich nach seiner Freilassung auf die Stammländereien seiner Familie an der Weser beim heutigen Rinteln zurück, wie er es bei seiner Freilassung versprochen hatte. Er starb 1223.
Zu Beginn seiner Regierung versuchte er, die finanziellen Einbußen, die ihm durch den Verlust der Stadt Lübeck an den Lehnsherrn der Schauenburger, den Herzog von Sachsen, genannt Heinrich der Löwe, einige Jahre zuvor entstanden waren, aufzufangen, indem er die Neustadt von Hamburg mit einer neuen Hafenanlage gründete; diese Neugründung war der Stadt Hamburg (Alt-Hamburg) benachbart. Im Jahre 1189 verlieh Kaiser Friedrich I. Barbarossa der neuen Siedlung das Stadtrecht und weitere Privilegien. Dieser Akt wird heute als das traditionelle Gründungsdatum des Hamburger Hafens angesehen.
Aufgrund des stark expandierenden Getreidemarktes ließ der Graf in der Neustadt eine Mühle, die Niedermühle, errichten. Für diese Wassermühle wurde ein Stausee angelegt, der die heutige Gestalt der Alster in Hamburg mitgeprägt hat. Diese Maßnahme führte allerdings dazu, daß Teile der Ländereien des Domkapitels zu Hamburg überflutet wurden. Es handelt sich um den in der Urkunde erwähnten Schaden, der dem Domkapitel durch den Bau der Mühle entstanden war.
Die Siedler der neuen Stadt traten mit der Bitte an den Grafen heran, daß er für den Bau einer Kirche Sorge tragen sollte, da mit einem großen Zustrom von Seefahrern und Kaufleuten gerechnet wurde. Nach ihren Vorstellungen sollte sie St. Nikolaus, dem Schutzpatron der Kaufleute und Seeleute, wie auch der Seefahrt überhaupt, zu Ehren errichtet werden. Der Graf gab der Bitte nach und stellte von seinem eigenen Land innerhalb der Neustadt Grund und Boden zur Verfügung, auf dem die neue Kirche errichtet werden sollte. Er sah es als sein Recht als Landesherr an, eine Kirche auf seinem eigenen Grund und Boden zu errichten, ohne Absprache mit dem eigentlich für Hamburg und Umgebung zuständigen Domkapitel zu Hamburg. Der Bau der Kirche wurde aber durch den Einspruch des sich um seine Rechte betrogen fühlenden Domkapitels verhindert. Es entstand ein wohl länger andauernder Streit, der erst 1195 beigelegt wurde, als der Graf dem Rat des vermittelnden Erzbischofs Hartwig II. (Erzbistum Bremen - Hamburg) folgend, den Grund und Boden, auf dem die Kirche gebaut werden sollte, einschließlich aller dazugehörigen Rechte dem Domkapitel übertragen hat; dem Text zufolge tat es der Graf zu seinem Seelenheil - ein übliches Motiv im ganzen Mittelalter, mit dem die Kirche die weltlichen Herrscher unter Druck gesetzt hat.
Im Mittelalter war eine Kirche im Prinzip nicht existenzfähgig, so daß sie auf Schenkungen und Stiftungen angewiesen war. In der Regel bekamen die Kirchen Ländereien geschenkt oder als Lehen verliehen, aus deren Einkünften die Erhaltung der Bauten, die Versorgung der Geistlichen und die Ausschmückung der Kirchen finanziert wurden. So auch in diesem Fall: Der Graf schenkte dem Domkapitel die Dörfer Bargfeld und Ahrensfelde mit ihren Zehnten, die die erforderlichen Einkünfte für zwei Domherren einbringen sollten. Es ist davon auszugehen, daß der Graf der Kirche St. Nikolai auch ohne den Rechtsstreit mit dem Domkapitel diese in der Hamburger Peripherie gelegenen Ortschaften, die wohl landwirt-schaftlich weit entwickelt und damit ertragreich gewesen sein müssen, zu ihrer Versorgung übertragen hätte.
Über den Vorschlag des Erzbischofs hinaus wollte er den durch den Bau der Wassermühle entstandenen Schaden durch weitere, jährlich zu leistende Getreidespenden wiedergutmachen - die Höhe der jährlich zu entrichtenden Spenden hat er mit 6 Wispel Roggen angegeben; ein Hamburger Wispel Roggen entspricht ca. 1.050 bis 1.100 kg, 6 Wispel wären also ca. 6,5 t Roggen gewesen.
Der bald nach der Beilegung des Streites eingetretende Überfall der Dänen verhinderte vermutlich, daß die Bestimmungen des Vertrages zur Ausführung kamen, denn in einer Urkunde von 1223 hat sich das Domkapitel den Besitz der St.-Nikolai-Kirche und der dazugehörigen Besitztümer und Rechte von Papst Honorius III. bestätigen lassen.
Abgesehen davon haben die Schauenburger Grafen diese Niederlage gegen das Domkapitel nicht ohne weiteres hinnehmen wollen, sie haben wahrscheinlich die Ausführungen der Bestimmungen verhindert, so gut sie konnten. Nachdem den Dänen das Land durch den Holsteiner Grafen Adolph IV. und dessen Verbündete im Jahre 1227 wieder abgenommen worden war, bestätigte Adolph IV. die Bestimmungen seines Vaters in der erhaltenen Urkunde von 1238 auf Bitten des Domkapitels, was darauf schließen läßt, daß der Konflikt zwischen Kirche und Landesherrn immer noch schwelte. Allerdings hat der Graf die Bestimmungen eingeschränkt, so daß die Getreideabgabe reduziert wurde. Weiterhin zog er die Abgabe der Dörfer Bargfeld und Ahrensfelde in Zweifel und behielt sie ein. Bargfeld gelangte demzufolge nie wirklich in den Besitz des Domkapitels, sondern blieb weltlicher Besitz in der Grafschaft Stormarn. Allerdings geht aus einer späteren Urkunde hervor, daß das Domkapitel den Zehnten aus dem Dorf Bargfeld erhalten hat.
Über den wirklichen Gründungszeitpunkt des Dorfes Bargfeld ist aus der Urkunde nichts zu erfahren. Bargfeld könnte aber durchaus eine Gründung der Schauenburger Grafen, vielleicht sogar Adolphs III. selbst sein, da die Grafen die von ihnen erreichte stabile Lage in der Region nutzten, das Gebiet zwischen Lübeck und Hamburg durch Ansiedlung von Flüchtlingen wirtschaftlich zu erschließen, um somit ihre Einkünfte zu erhöhen.